Seit mein Mann und ich uns getrennt haben ist er ein vorbildlicher Vater, Zuhörer und Freund. Er nimmt plötzlich Dinge ernst, die ihm früher egal schienen und scheint generell mehr in sich zu ruhen. Warum eine Trennung dafür notwendig war? Das liegt wohl daran, dass ich emotional zu zensiert war. Ich habe wohl Wut, Enttäuschung, Angst, Verletzungen, etc. nicht zeitnah aufgezeigt, sondern dieser rationalisiert erst zu einem späteren Zeitpunkt angesprochen. Was meine ich genau damit? Hier ein Beispiel: Ich hatte einen höllischen Tag um Büro, die Kinder zu Hause sind aufgedreht und lassen sich nicht beruhigen, Ich greife zum Hörer, um einen Hilferuf auszusenden und frage meinen Mann, ob er es denn schafft heute mal früher daheim zu sein. Er ist sichtlich gut gelaunt und entspannt am Telefon und sagt, dass er eh schon zusammenpackt und also gleich da ist. Zwei Stunden später habe ich mit letzter Kraft die Kinder doch irgendwie beruhigen und ins Bett stecken können, habe eine Ladung Wäsche gestartet und angefangen das Chaos des Tages zu beseitigen, als mein Mann dann gut gelaunt zur Tür reinkommt. Ich will keinen Streit provozieren, also frage ich nur: „War wohl viel Verkehr.“ Er winkt nur gut gelaunt ab und sagt: „Ach was, ich wurde nur von einem alten Kollegen aufgehalten und wir haben uns etwas festgequatscht.“ In dem Moment tobt in mir ein Vulkan, aber ich habe ja all die Ratgeber zur richtigen Kommunikation im Hinterkopf, ich will also nicht ausflippen und dann Gott bewahre pauschale Aussagen treffen und keinesfalls will ich die ich-Perspektive vergessen, also so lange ich so wütend bin sage ich lieber nichts mehr. Zwei Stunden später auf dem Sofa, da habe ich mich endlich beruhigt und sage ihm in einem ganz sachlichen ruhigen Tonfall nur: „Du weißt schon, dass das vorhin am Telefon ein Hilferuf war. Ich hatte sehr gehofft, dass Du auch kommst, wie versprochen.“ Er sagt nur beiläufig: „Sorry, war keine Absicht, dass es so spät geworden ist“ und wir schauen gemeinsam unsere Serie fertig. Ich fühle mich nicht ernst genommen, er sieht kein Problem. Warum nicht? Na weil ich nicht ausgeflippt bin, als er zur Tür reingekommen ist. Er hat nicht die volle Ladung Wut und Frustration und Ermüdung abbekommen, die in mir kochten, als war ihm nicht klar wie schwer die Situation für mich wirklich war.
Ich hatte schon öfter Beziehungen die ich beendet habe und wo dann das Feedback kam: „Ja ja, das hattest Du schon auch immer alles gesagt, aber ich wusste nicht, dass dir das so ernst ist.“ Bam, das war immer wie ein Schlag ins Gesicht. Warum sollte das was ich sage nicht ernst gemeint sein? Warum ging die Tragweite verloren? Na weil das Gefühl in dem Moment als ich es sagte nicht mehr da war. Es waren nur gut formulierte Worthülsen und die verfehlten ihre Wirkung. Also meine Damen seid auch mal dramatisch, schreit, wenn es euch danach ist, weint, tobt, aber bringt euren Standpunkt rüber. Männer mögen vielleicht keine Schreckschrauben, aber wenn wir ehrlich sind, dann sind das genau die Frauen, die von Männern auf Händen getragen werden und die Low Maintenance Frauen müssen ganz schön hart für die Anerkennung ihrer Bedürfnisse arbeiten. Der Mensch ist faul, wenn also kein Handlungsdruck da ist, dann machen die meisten auch nichts. Wenn also die Frau nicht tobt, dann kann man als Mann das Risiko eingehen es mal auszusitzen. Und das ist nicht bös oder ignorant gemeint.
Ich muss nun also lernen Gefühle unzensiert raus zu lassen. Wie das geht? Keine Ahnung, aber es muss einen Weg geben, denn ich will nicht wieder eine Low Maintenance Frau sein. Ich sehne mich danach jemanden zu haben mit dem ich die Kontrolle verlieren kann, da ich mal nicht diejenige bin, die auf alle aufpasst. Also ein Mann der es mir ermöglicht frei in meinem Handeln zu sein, weil er auf mich aufpasst.
26. April 2019